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weekly#44 Vom Unterwegs sein und was ist Kempen für mich?

Jens von Ewald (aka Strassengeier) kenne ich von „Soul of Street“, dem Street-Fotografie-Kollektiv aus Köln. Er schreibt regelmäßig interessante, hintergründige, ja sogar philosophische Blogbeiträge. In dieser Woche hat er seine Gedanken zu seiner Stadt, vom Kosmopoliten in ihm und vom philosophischen Aspekt der Streetfotografie kundgetan. Es fehle ihm die Inspiration, „seine“ Stadt in wenigen aussagekräftigen Streetfotos adäquat zu dokumentieren.


Jens Erkenntnisse

Stadt, Land oder Heimat sind für ihn Worthülsen, von denen er weiß, was sie bedeuten, aber ohne Relevanz für ihn sind. Das Ganze hat nämlich mit seiner Identität zu tun … er sieht sich einfach als Mensch. Weder als Deutscher, Bürger von Emmerich oder als Lehrer in den Niederlanden. Wenn das Bindende oder Verbindende wegfällt, dann ist es eine Befreiung. Es garantiert Offenheit für alle Kulturen dieser Welt. Ohne Schranken kannst du dich weiterentwickeln, es öffnet das Herz für die Menschen, egal, wo sie leben oder eine Heimat haben. Die Identifikation über Herkunft, Erfolg und Besitz, die so viele Menschen brauchen, löst sich auf, die Identität wird zugleich schwammig aber auch freier. Die Egoismen lösen sich auf. Ich sehe das ähnlich und habe mal den Blick auf meine Umgebung gerichtet.

 

Als erstes habe ich mir gleich nach dem Lesen die Kamera geschnappt, durch die Stadt gelaufen und die „offensichtlichen“ Kempen Bilder erstellt. Das, was mir als erstes einfiel. Es sind sehr bekannte und markante Orte und Plätze Kempens. Aber ich habe schon bei den ersten Bildern gemerkt, dass es ein paar Anläufe braucht. Bin ich jetzt „Heimatfotograf“? Ich werde nach einer Weile nochmals losziehen, um meine kleinen ganz persönlichen Puzzlestücke zu finden. Das Ganze wird allein für mich zum Bild, alle anderen werden sie verschieden interpretieren ... und das ist gut so. Danke Jens für den Anschupser ... hier ist sein bebilderter Beitrag auf strassengeier.de

Foto: Achim Katzberg


Was ist Heimat?

Ob man es Heimat oder „Wohlfühlort“ nennt, das ist mir egal. Für mich gibt es diverse Orte, wo ich gern bin und mich behaglich fühle. Orte, wo man liebe Menschen um sich hat oder Orte mit Erinnerungen oder wo es (für mich allein) richtig schön ist. Das kann an vielen Orten sein, wo man frei ist, wo man neues Erleben und sein Wissen erweitern kann. Einer davon ist Kempen.

Ich habe festgestellt, dass ich keine richtigen Wurzeln und keinen originären Ort habe. Ich bin so oft in meinem Leben umgezogen. Geboren in Krefeld-Hüls, zur Schule ging ich in Kempen, meinen Wehrdienst habe im schönen Oldenburg verbracht. Das Studium der Wirtschaftswissenschaften habe ich in Duisburg abgeschlossen und meine Verlags-Jobs hatte ich in Hamburg und später in Köln ausgeübt. Die Familie lebt jetzt in Kempen. Sicher ist Hamburg für mich immer wieder mein einzigartiger Anlaufpunkt. Mindestens einmal im Jahr muss ich Elbe und Alster sehen. Mir geht das Herz auf, wenn ich nur das Lied "Landungsbrücken raus" von Kettcar höre. Ist das dann Heimat? Kann sein. Jetzt gerade war ich über Karneval dort. Für euch mal drei plus eins Kartenmotive aus der Hansestadt.

Wandelnde Heimat?

Es war schon immer mein Traum, ich möchte immer (wieder) unterwegs sein, aber auch die vertrauten Plätze regelmäßig aufsuchen. Neben Hamburg ist Zoutelande, im Süden der Niederlande, seit 20 Jahren immer für eine Herbst-Woche zur schönen Pflicht geworden. Seit ein paar Jahren bin ich nun regelmäßig unterwegs.

Mit meinem Sohn besuchte ich in den Osterferien 2011, als er zwölf war, alle Hauptstädte unserer 16 Bundesländer. Das fanden wir beide sehr spannend. Das war für mich der Anfang. Mein Plan seit dem, ich möchte alle 46 Hauptstädte Europas bereisen. Erst habe ich das nur an den (verlängerten) Wochenenden realisiert und jetzt in meiner beruflichen Auszeit kann ich das „Projekt“ gelassener und mit mehr Ruhe und Zeit planen und umsetzen. Ich habe da keinen Druck.

Eindrücke sammeln

Auch andere Gegenden dieser Welt sind einen Besuch wert. Ich lasse mir Zeit, zum Ankommen, Reinfinden und Entdecken. Es ist einfach schön immer wieder neue Eindrücke zu sammeln, Land und Leute kennenzulernen und letztendlich Bilder auf SD-Card oder auf Papier festzuhalten. 15 dieser Hauptstädte habe ich schon besucht, davon waren Lissabon (überraschend schön), Kopenhagen (easy living), Stockholm (freundliche Menschen) und Wien (hat von allem etwas) bisher am interessantesten.

Im letzten Jahr 2017 war ich über drei Monate in Neuseeland und dieses Jahr habe ich eine SlowTravelTour2018 im deutschsprachigen Raum auf der Agenda. Ich freue mich, alte Bekannte zu treffen und neue Menschen zu besuchen und kennenzulernen. Mein erster Trip geht im März nach Oldenburg, dann ist im Mai Hamburg und das Wendland an der Reihe. Die weiteren Termine knobele ich gerade aus. Auf jeden Fall ist im Frühling/Sommer Stuttgart und Freiburg auf dem Plan.

Was ist mir wichtig?

Ich schaue auf und in die Stadt, frage mich, was macht sie aus, wie siehst du sie, wie sehen sie andere, wie wirkt sie auf dich und auf andere? Dann schaue ich mir die Menschen genauer an. Bestenfalls habe ich einen Guide an meiner Seite, der beim Einleben hilft. Oder ich lasse mich einfach treiben und überlasse dem Zufall die Regie. Irgendwas passiert immer ...

Was ist mir wichtig? Ich möchte offen sein, beobachten, teilhaben, geben, teilen und lernen. Das Leben leben, selber entscheiden, was für einen selbst gut ist oder weiterhilft. Die Fotografie ist dabei mein ständiger Begleiter. Mal ist es nur bebildertes Tagebuch. Oder man zieht zusammen mit Gleichgesinnten durch die Straßen und dokumentiert das Erlebte gemeinsam. Es ist oft sehr spannend, wie verschieden die Sichtweisen, die gemachten Bilder der Menschen und Gegebenheiten ausfallen können.

Schauen, Staunen, Ebenen sehen

Ja, es ist sicher auch Philosophie dabei. Es geht um das Erfassen der Zusammenhänge und der menschlichen Emotionen – bestenfalls mit passend komponierten Hinter- oder Vordergründen. Kurz: um eine tolle Story in einem Bild oder einer Serie. Ein Bild, wo man auch beim zweiten Hinschauen noch weitere Ebenen erkennt. Klar freut es mich, wenn ich bei den öffentlichen Bildern positive Resonanz erhalte. Mein Qualitätsanspruch ist mit der Zeit gestiegen und ich zeige Fotos nur selektiv. Für mich sind Reisen, Bilder und die Fotografie zum Lebensinhalt geworden. Das nehme ich mit, das genaue Schauen und Staunen. Und ich freue mich immer wieder, in den Bilderwelten und den verbundenen Erinnerungen zu wandeln.

Das offensichtliche Kempen

Zurück zu Kempen. Das offensichtliche Kempen, das sind die Burg, der weitsichtbare Wasserturm, die Mühle und der historische Stadtkern mit Fachwerkhäusern, den Stadttoren und der Stadtmauer. In Kempen wird oft und gern gefeiert. Der Fackelzug zu St. Martin mit dem grandiosen Feuerwerk an der Burg ist legendär. Die jedem Kind überreichten Kekse stammen von der hiesigen De Beukelaer Fabrik. Alles erzeugt bei vielen heimatliche Gefühle.

Auf den zweiten Blick fällt die Offenheit auf. Die Menschen auf der Straße sind gesprächig und bei Sonne sind schnell Bänke und Stühle draußen platziert und man genießt das Leben. Hier läßt es sich gut leben. Alles ist gut zu Fuß oder mit dem Rad zu erreichen. Aber auch die Sünden der 70er Jahre in der „Neuen Stadt“ – jetzt Hagelkreuz genannt – werfen Schatten. Trotzdem zieht es speziell junge Menschen dort hin und finden Heimat.

Meine persönlichen Erinnerungen speisen sich meist aus kaum sichtbaren Kleinigkeiten (Stolpersteine) oder aus der Schulzeit. Anker ist auch sicher das Wohnhaus, aber auch der Bahnhof als Tor zur Welt.

Alles ist mir vertraut, weil ich seit Jahren hier zuhause bin. Vielleicht bin ich auch mindestens auf einem Auge blind und sehe vieles garnicht mehr. Wie gesagt, ich werde nach einer Weile wieder die Kamera schnappen und anders auf die Stadt schauen ... 


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