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weekly#64 Neun Stunden Marathon mit Licht im Dunkeln und Freude im Gesicht

Alles für die Tonne? Ich liebe Überraschungen und ich liebe Fotomarathons. Jeder Wettbewerb ist anders und jeder ist neu. Sie schärfen die Sinne, bringen Licht ins Dunkle und kitzeln die Kreativität in kurzer Zeit aus dir heraus. Am Ende bist du geschafft, aber im Ergebnis ist es immer wieder toll. Am Ziel werden die digitalen Fotos eingesammelt. Wenn du mehr über Fotomarathons lesen möchtest, dann schau in meinen weekly#11.


Oberthema: "Erzähl mir k/ein Märchen"

Am 23.6.2018 fuhr ich morgens von Freiburg nach Rheinfelden (direkt an der Schweizer Grenze) zum "einzigen regelmäßigen Fotomarathon südlich der Linie Stuttgart-Karlsruhe". So bezeichneten die beiden Organisatoren von der dortigen VHS Petra Böttcher und Antonius Latsch-Gulde schmunzelnd ihren 3. Wettbewerb in Folge. Es ist ein kleiner, aber feiner Wettbewerb, der in der Vergangenheit zwischen 15 und 30 Teilnehmer angesprochen hat. Hier findest du alle Infos zur VHS und die Teilnahmebedingungen. Punkt zehn Uhr wurden das Oberthema "Erzähl mir k/ein Märchen" und die ersten vier Aufgaben in einem verschlossenen Umschlag übergeben. Alle Aufgaben bestanden aus Redewendungen

Jetzt müssen die Teilnehmer diese nur noch jeweils in ein einziges Bild umwandeln. Jeder weiß, dass das keine einfache Angelegenheit ist. Viele denken erst mal nach, wie man das Oberthema und die ersten vier und die (noch unbekannten) weiteren acht Aufgaben möglichst mit einem roten Faden kreativ umsetzen könnte. Foto: Petra Böttcher

Der rote Faden

Beim durchgängigen Oberthema Märchen denke ich als erstes an Wald und Burgen, aber auch an düstere Zeiten. Aus diesem Grunde habe ich mich entschieden, alle 12 Bilder in schwarz-weiß zu knipsen. Weiter wollte ich die düstere und dreckige Stimmung durch eine digitale Verschlechterung des Bildes, das sog. Rauschen, über eine hohe ISO-Einstellung (1000) rüberbringen. In allen Märchen kommen Menschen vor, daher war die Abbildung eines Menschen im Bild für mich Pflicht. Da Märchen meistens brutal sind, aber am Ende gut ausgehen, habe ich mir überlegt, bei allen Bildern einen besonders hohen Kontrast im Spiel mit Licht und Schatten zu kreieren. Als Location hatte ich erst den Friedhof ausgesucht, da man hier meist ungestört arbeiten kann. Aber auf dem Weg dahin fiel mir der Kulturpark Tutti Kiesi ins Auge. Hier gibt es Klettergerüste, Schaukeln und eine "Wehranlage", die man als Burg einsetzen konnte. Die Zeit läuft einem davon, man muss sich beim Marathon und der Ideenfindung schnell entscheiden! 


1. Aufgabe: Jemandem einen Denkzettel verpassen + Startnummer

Bei der erste Aufgabe muss auch die Startnummer erkennbar sein. Die Redewendung bedeutet jemanden bestrafen, zum Nachdenken bringen, eine Lektion erteilen, sich an jemanden rächen. Sie stammt aus dem späten Mittelalter. Schon in dieser Zeit gab es so etwas wie gerichtliche Vorladungen, die „Gedenkzettel“ genannt wurden und auf denen der Termin vermerkt war. Später setzte sich der Denkzettel für allgemeine Mitteilungen durch. Ich habe Rieke im Wehrgang der "Burg" platziert, ihr einen "Denkzettel" auf die Stirn geklebt und eine Burgfahne über ihrem Kopf wehen lassen. 

2. Aufgabe: Auf der faulen Haut liegen

Bei der zweiten Aufgabe habe ich irgendwie naheliegend (haha) von der Hängematte im Gegenlicht Gebrauch gemacht. Bei Fotomarathons darf man beliebig viele Bilder machen, aber am Ende muss man entscheiden. Es darf nur noch ein Foto pro Aufgabe und in der richtigen Reihenfolge auf der Speicherkarte sein. UND man darf die Bilder nicht bearbeiten. Das ist die große Kunst, das beste und richtige Bild zu wählen - sprich, zum Schluss sind das Entscheiden und das Löschen die echte Herausforderung. 

3. Aufgabe: Den Hals nicht voll kriegen

"Den Hals nicht vollkriegen", ein Gierschlund sein, ein gieriger Profiteur, einer der nicht genug kriegen kann. Rieke hat voll zugeschlagen und gleich zwei der drei Croissants auf der Schaukel verspeist. Croissants als Sinnbilder des Halbmondes in den Märchen aus dem Orient. 

4. Aufgabe: Am Hungertuch nagen

Diese Redewendung findet ihren Ursprung ungefähr im Jahre 1000 n. Chr. In der Fastenzeit wurde ein Tuch zur Abtrennung von Altar- und Kirchenraum aufgehängt. Naja, ich habe dann das Märchen von Hänsel und Gretel genommen, wo die böse Hexe Gretel zur Dienstmagd macht und Hänsel in einem Käfig mästet, um ihn später aufzuessen. Wie bekannt, täuscht Hänsel die halbblinde Hexe mit einem kleinen Knochen. 

5. Aufgabe: Über Stock und Stein

Ich weiß auch nicht, warum mir gerade diese Lieder in den Sinn kamen? 

 

Hopp, hopp, hopp, Pferdchen lauf Galopp! Über Stock und über Steine, aber brich dir nicht die Beine! Hopp, hopp, hopp, Pferdchen lauf Galopp!      oder 

 

Hänschen klein, ging allein. In die weite Welt hinein, Stock und Hut, steh‘n ihm gut, ist gar wohlgemut

6. Aufgabe: Feuer und Flamme sein

Der Stabreim deutet auf einen germanischen Ursprung hin. Das Löschen von Feuer und Flamme der Herdstelle eines Missetäters galt als Verwüstungsstrafe. Die Bewahrung von Feuer und Flamme im eigenen Herd war dagegen die rechtsverbindliche Niederlassung und Führung eines eigenen Haushalts. Vermutlich liegt hier der Ursprung der positiven Bedeutung "begeistert sein" der Redensart. Ich habe dann kurzerhand beide Erklärungen in das Bild eingebaut. Licht im Dunkeln mit Freude im Gesicht. Tipp: Mit einer Taschenlampe kann man tolle Effekte erzielen.

7. Aufgabe: In Saus und Braus leben

"Saus" ist ein älteres Wort für das Geräusch des rauschenden Windes. Dementsprechend ist "Braus" eine Kurzform für "das Brausen der Meereswellen". Schon im Mittelalter werden beide Ausdrücke auf das lärmende und fröhlich schwelgende Wohlleben und auf Zecherei und Trunkenheit bezogen. Im Bild habe ich den Müllcontainer bei ALDI genutzt. Entweder sieht man die Konsum- und Wegwerfgesellschaft und den Müll als Folge des Wohllebens oder andersrum die Not mancher Menschen, die im Müll nach essbaren Resten suchen. Das ist mein bestes Bild, finde ich.

8. Aufgabe: Hals über Kopf

Die Redensart bezieht sich auf den sich vor Eile überschlagenden Körper des Fliehenden.

 

Oben ist unten, auf der Seite oder auf dem Kopf?

Was alles passieren kann, wenn man Hals über Kopf und unkontrolliert das Weite sucht. Sei achtsam, in deiner Umgebung, bei Leuten, die Hilfe brauchen und bei dir selber. Reiche deine Hand zur Hilfe.

9. Aufgabe: Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen

Aschenputtel bittet die Tauben, Linsen aus der Asche zu lesen: "Ihr zahmen Täubchen, ihr Turteltäubchen, all ihr Vöglein unter dem Himmel, kommt und helft mir lesen, die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen".

 

Hier mal eine Makroaufnahme mit schnell gekauften Linsen aus dem naheliegenden REWE.

10. Aufgabe: Wie aus Tausend und einer Nacht

"Tausendundeine Nacht" wird häufig gleichgesetzt mit Märchen für Kinder, was der Rolle des Originals als Geschichtensammlung für Erwachsene mit zum Teil sehr erotischen Geschichten in keiner Weise gerecht wird. Ein Schleier- und Bauchtanz hilft, die Konfusion zu verstärken.

11. Aufgabe: Zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen

Dies ist eine Redensart, mit denen eine glückliche Gleichzeitigkeit im Sinne der Lösung mehrerer Probleme und des Erzielens mehrerer Erfolge ausgedrückt wird.

 

So wie das Schlagen von zwei Fliegen (verschiedenster Art) mit der Hand.

12. Aufgabe: Fersengeld geben

Diese Redensart hat mehrere Herleitungen. Gemeinsam ist aber allen, dass sie etwas mit dem Zahlen von Geld für das Ergreifen der Flucht – wörtlich oder im übertragenen Sinne – zu tun haben. Sei bei der Flucht schneller als der Schatten. Auch eine sehr schöne Umsetzung in meinen Augen.


Mein persönliches Fazit

Die Bilder werden in den nächsten Tagen als Fotobahnen gedruckt und für die Ausstellung aufbereitet. Am 30.6. entscheidet die Jury und am Sonntag ist um 17 Uhr die Prämierung. Es gibt viele Preise und Gutscheine zu gewinnen. Alle Bilder werden im Rathaus bis zum 8.7. ausgestellt.

 

Ich fand den Marathon recht anspruchsvoll und interessant und komme gern nochmal wieder. Eine Sache oder einen Tipp von mir: Die Themenzettel müssten nach meiner Ansicht nicht noch extra in einem bedruckten und zugeklebten Umschlag übergeben werden. Ein loser Zettel reicht, das spart Geld, Papier und nutzt der Umwelt. Ich persönlich fände es besser, wenn es nur eine Zwischenstation gäbe, denn ich war recht schnell fertig und musste dann über eine Stunde „verstreichen“ lassen bis es die nächsten Themen gab. Ansonsten war es prima und ich danke den beiden Organisatoren für ihren Einsatz und die Verpflegung.


Was letzte Woche geschah ...

Thomas Leuthard war und ist die Institution in Sachen Streetfotografie im deutschsprachigen Raum. Der Schweizer war über Jahre unermüdlich auf allen Kanälen präsent und hat mit seiner Art der Fotografie viele Menschen inspiriert. Doch dann war 2016 plötzlich Schluss. Was macht Thomas Leuthard eigentlich heute? Sehr lange war er abgetaucht und hat nichts von sich hören lassen. Ich habe ihn in Zürich getroffen und wir haben über die Fotografie, das Leben, den aktuellen Status Quo und über das Job-Aussteigen geplaudert. Mehr im weekly#63.


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